Schulen und KiTas im Lockdown – ein Offenbarungseid über schulische Bildung und die moderne Familie

Wed, 10. March 2021
von 19:15 Uhr bis 21:45 Uhr
Online-Diskussionsveranstaltung per Discord, der Link zur Teilnahme wird ca. 24 Stunden vor der Veranstaltung hier veröffentlicht

Diskussionsveranstaltung

10. März, 19:15 bis ca 21:45 Uhr

Online-Diskussionsveranstaltung per Discord, der Link zur Teilnahme:

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Als weites Feld epidemiologisch relevanter Kontakte ist dem Staat auch der nationale Schulbetrieb in den Blick geraten. Anders als in der Arbeitswelt eröffnet sich der Politik beim Blick auf die Kinder die Möglichkeit, auf Kontaktreduzierung zu bestehen, ohne dass es gleich um existenzielle Fragen geht. Und so wurden, nach der schrittweisen Verschärfung von allerhand Hygieneauflagen, die Schulen schließlich weitgehend dichtgemacht und der Regelschulbetrieb unterbrochen. Dessen Leistungen für die Bildung des Nachwuchses sind dem Staat gleichwohl alles andere als egal, und so wurde ein Kontakte vermeidender Ersatzbetrieb angeordnet: Fernunterricht mit Rückgriff auf die Errungenschaften der Digitalisierung, der der Bildungssektor schon so lange entgegenfiebert, und selbstständiges Lernen von zu Hause aus. Für die betroffenen Familien, auf die der Schulbetrieb damit abgewälzt wird, ist das in mehrfacher Hinsicht eine Zumutung eigener Art. In diese Zumutungen stecken einige Klarstellungen darüber, worauf es bei der schulischen Bildung ankommt und welche Rolle die moderne Familie im System der Marktwirtschaft spielt.

Einige Verlautbarungen zum Thema:

  • Sie denke an die Kinder, ‚die derzeit zu Hause regelrecht abgeschnitten sind, weil sie sich zu dritt einen Laptop teilen müssen oder weil sie die Arbeitsblätter auf dem Smartphone mit dem begrenzten Datenvolumen bearbeiten‘, sagt die ZfL [Zentrum für LehrerInnenbildung Uni Köln]-Leiterin. Auch für OECD-Bildungsfachmann Andreas Schleicher ist das eine der größten Herausforderungen in der aktuellen Situation: Einerseits gebe es die Schüler mit Zugang zur Technik und der – auch vom Elternhaus gestützten – Lust am Lernen. Und andererseits diejenigen, denen diese Unterstützung fehlt. ‚Wir sehen sehr klar, dass Zugang, Nutzung und Qualität von Onlineangeboten sich sehr stark auswirken auf Chancenungerechtigkeiten‘, so Schleicher.“ („Ein Schulsystem aus dem 19. Jahrhundert“, spiegel.de, 10.5.20)
  • Nicht alle Eltern können die Fragen ihrer Kinder zum Stoffgebiet beantworten. Manche kennen die Lerninhalte ihrer Kinder nicht mehr aus der eigenen Schulzeit. Was ist ein Trapez – wie funktioniert das Periodensystem, wo finde ich ergänzende Informationen zum Informatikunterricht? Warum hat der Lehrer hier einen Fehler angestrichen? Was Schülerinnen und Schüler überfordert, können auch ihre Eltern nicht immer lösen. Es kommt deshalb gerade im Homeschooling auf das Feedback und die Erreichbarkeit der Lehrkräfte an.“ (Schule daheim: zwischen Selbstbestimmung und Überforderung. br.de/nachrichten, 3.4.20)
  • Dabei ist es oft nicht einfach, die Kinder für das Lernen zu begeistern. Etwas mehr als die Hälfte der Eltern gibt an, dass es ihrem Kind an Motivation fehle.“ (Homeschooling belastet Familien, ntv.de/panorama, 2.7.20)
  • Die ökonomischen Folgen ihres Wissensverlustes werden gigantisch sein. Jedes zusätzliche Schuljahr erhöht laut Experten das Lebenseinkommen eines Schülers im Schnitt um rund zehn Prozent. Im Umkehrschluss bedeutet das: Geht ein Drittel des Schuljahres verloren, schrumpft das Einkommen um drei bis vier Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, liegt zudem höher. Der Lernausfall summiert sich im späteren Arbeitsleben nach Rechnung des Ifo-Instituts auf einen gesamtwirtschaftlichen Verlust von 5,4 Billionen Euro. Die geringere Bildung der künftigen Erwerbstätigen schmälert das Sozialprodukt über viele Jahre um rund 2,8 Prozent… Damit könnten Deutschland laut IfW-Chef Felbermayr zwei bis drei Prozent an Wirtschaftsleistung entgehen. Weniger Schule kostet viel Geld, und einen Großteil müssen die Schüler tragen – ohne es zu wissen. Das ist mitnichten eine theoretische Spielerei, denn ‚nichts ist so gut belegt wie der Zusammenhang von Bildung und Wachstum‘, sagt Ifo-Bildungsexperte Ludger Wössmann.“ (Handelsblatt, 19.6.20)
  • Langsam reichts. Wir gehen den ganzen Tag arbeiten, haben haushalt etc zu erledigen u dürfen dann unseren Kindern den Stoff noch bei bringen. Wir Eltern laufen auch irgendwann an unserer Belastungsgrenze.“ (Stefanie Müller im Blog Eltern am Limit auf mdr.de/sachsen-anhalt, 13.1.21)
  • Das Risiko für psychische Auffälligkeiten sei von 18 Prozent auf 31 Prozent angestiegen. Hyperaktivität (24 Prozent), emotionale Probleme (21 Prozent) und Verhaltensprobleme (19 Prozent) traten vermehrt auf, ebenso psychosomatische Beschwerden wie Gereiztheit (54 Prozent), Einschlafprobleme (44 Prozent) sowie Kopf- und Bauchschmerzen (40 bzw. 31 Prozent). Lernen sei für zwei Drittel anstrengender geworden. Der Schulalltag wurde teilweise als extrem belastend empfunden. Auch in den Familien habe sich die Stimmung verschlechtert: 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 37 Prozent der Eltern berichteten, dass sie sich häufiger streiten als vor der Corona-Krise. Vor allem Kinder, deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss oder einen Migrationshintergrund haben, erlebten die Veränderungen als äußerst schwierig. Finanzielle Probleme, beengter Wohnraum und eine fehlende Tagesstruktur seien Risikofaktoren, weshalb Unterstützungskonzepte für Familien eingefordert werden.“ („Wir wollen wieder in die Schule“, bpb.de, 28.10.20)
  • Inwiefern Kinder während der Pandemie einem erhöhten Gefährdungsrisiko ausgesetzt waren, können die DJI-Wissenschaftlerinnen [Deutsches Jugendinstitut] auf Basis der derzeitigen Studienlage nicht abschließend beurteilen. Die stark gestiegene Nachfrage nach Chat- und Telefonberatung für Kinder und Jugendliche, beispielsweise über die ‚Nummer gegen Kummer‘, und nach telefonischer Elternberatung am Anfang der Pandemie wurde als erster Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für Kindeswohlgefährdungen gedeutet. Auch die Daten der Gewaltschutzambulanz des Universitätsklinikums Charité deuteten auf eine Zunahme häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung … Fest steht: Durch die Schließung oder begrenzte Öffnung von Schulen, Kitas und Horte entstand eine Lücke die trotz der Bemühungen vieler Behörden, die breite Öffentlichkeit in den Schutz des Kindeswohls einzubeziehen, nicht überbrückt werden könne … In Deutschland gingen vor der Pandemie etwa 40 Prozent der Hinweise auf Kindeswohlgefährdungen von diesen Institutionen aus.“ (DJI, Erschwert die Pandemie den Kinderschutz?, 8.10.20)

Zum Thema gibt es einen Artikel des GegenStandpunkt-Verlages in der Nummer 1-21 (erscheint am 26.3.) des GegenStandpunkt: „Pandemie XVIII. Deutschland im Winter-Lockdown – eine Zwischenbilanz“, davon insbesondere der Abschnitt II.4. „Die Welt der Nachwuchsbetreuung“. Dieser Artikel ist frei verfügbar auf: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/deutschland-winter-lockdown