Fortsetzung von: der Afghanistan-„Einsatz“: „gescheitert!“ – Wieso denn das?

Tue, 22. February 2022
von 19:15 Uhr bis 21:45 Uhr
Online-Diskussionsveranstaltung per Discord, der Link zur Teilnahme (nach Betätigung des Link im Register "Sprachkanäle" auf "Allgemein" klicken):

Stellvertretend: „die schwerste außenpolitische und militärische Schmach des Westens“ (Der globale Dschihad, FAS, 12.09.21)

„Ich möchte alle daran erinnern, wie wir hierher gekommen sind und was Amerikas Interessen in Afghanistan sind. Wir sind vor fast 20 Jahren mit einem klaren Ziel nach Afghanistan gegangen: diejenigen zu fassen, die uns am 11. September 2001 angegriffen haben, und dafür zu sorgen, dass Al Qaida Afghanistan nicht als Basis nutzen kann, um uns erneut anzugreifen. Das ist uns gelungen. Wir haben Al Qaida in Afghanistan stark geschwächt. Wir haben die Jagd auf Osama bin Laden nie aufgegeben und wir haben ihn erwischt. Das war vor einem Jahrzehnt. […] Unser einziges vitales nationales Interesse an Afghanistan ist auch heute noch das, was es schon immer war: Die Verhinderung eines Terroranschlags auf das amerikanische Heimatland.“ (Biden, Pressekonferenz am 16.08.21)

„Es stimmt aber nicht, dass es immer nur um den Selbstschutz des Westens ging. Zwei Jahrzehnte lang mühten sich westliche Politiker, den eigenen Öffentlichkeiten, den eigenen Parlamenten, dem eigenen Militär zu erklären, was auf dem Spiel stünde am Hindukusch: die Rechte der Frauen. Sie verwiesen auf die Mädchenschulen, auf afghanische Fußballspielerinnen, Sängerinnen und Politikerinnen, die im Schutz der Westmächte eigene Wege gingen. Diese Geschichte vom universalen Recht auf Selbstbestimmung haben nicht nur die Wählenden im Westen geglaubt. Auch viele Afghaninnen, vor allem Jüngere, glaubten es. Frauen wie Crystal Bayat, die nie Burka trugen – und sich nun vom Westen im Stich gelassen fühlen.“ (Für Werte kämpfen, SZ, 23.08.21)

„Der Opiumanbau sichert Schätzungen zufolge einer Viertelmillion Menschen in dem Land ein Einkommen […] Schon jetzt ist Afghanistan den Vereinten Nationen zufolge der weltweit größte Produzent von Opium, dem Grundstoff von Heroin. Der Marktanteil des Landes lag im vergangenen Jahr bei 85 Prozent, wie aus dem UN-Weltdrogenbericht hervorgeht. […] Den bisherigen Höchstwert der Opiumproduktion verzeichnete Afghanistan im Jahr 2017 mit 9.900 Tonnen. Der Umsatz der Landwirte lag damals laut UNODC bei rund 1,4 Milliarden US-Dollar. Das entspricht etwa sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) des Landes. […]

Wie stark die Taliban von dem Geschäft profitieren, lässt sich nur schwer beziffern. „Sie nehmen vor allem Geld durch Steuern ein“, sagt die Afghanistan-Expertin Jelena Bjelica vom Afghanistan Analysts Network. Bjelica geht davon aus, dass etwa die Hälfte der Einnahmen aus dem illegalen Geschäft an die Taliban gehen. […] Ein Bericht des US-Sondergeneralinspektors für Afghanistan (SIGAR) legt nahe, dass die Taliban bis zu 60 Prozent ihrer Jahreseinnahmen aus Anbau und Handel mit Drogen beziehen. […]

Die Einnahmen aus dem Drogengeschäft könnten für die Taliban sowie für die Menschen im Land künftig noch wichtiger werden. Afghanistan gilt als eines der ärmsten Länder der Welt und seit der Machtübernahme der Islamisten nimmt der finanzielle Druck weiter zu: Die US-Regierung und die Notenbank haben Medienberichten zufolge den Großteil von Afghanistans Währungsreserven eingefroren. […] Der Internationale Währungsfonds (IWF) teilte zudem mit, dass das Land bis auf Weiteres nicht auf IWF-Mittel zugreifen können werde. Zudem ist davon auszugehen, dass Hilfsgelder westlicher Staaten vorerst nicht weiter fließen werden.“ (Opium für das Volk, ZEIT ONLINE, 25.0821, zeit.de)

„Und noch eine weitere Devisenquelle droht zu versiegen: die Überweisungen aus der afghanischen Diaspora. Sie beliefen sich 2020 laut Weltbank auf 788 Millionen Dollar oder vier Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.“ (Wie finanzieren sich die Taliban, DIE ZEIT N°35, 26.08.21)

„[…] das prinzipielle Problem Afghanistans […]: dass es sich nämlich nicht um einen Staat handelte, der nach herkömmlichen Vorstellungen zu regieren, zu beherrschen und zu befrieden sein würde. Afghanistan ist ein historischer Konstruktionsfehler […] Entscheidend für das Verständnis des Landes ist die Stammesordnung, die keine Grenze, aber dafür ihre eigenen Gesetze kennt – niemals aber den Frieden. […] Die Gesetze der Macht dort wurden schon immer mit Blut geschrieben. Herrschaft wird über Stärke und im Zweifel mit Gewalt begründet. Loyalität entsteht auch durch Unterwerfung und Unterdrückung.“ (Der Selbstbetrug, SZ, 21.08.21)

„Ebendiese Leute, Warlords und Kriegsverbrecher, stellten dann mehr als sechzig Prozent der Abgeordneten. […] Die neuen Abgeordneten wussten ihre Mandate zu nutzen. Sie drohten den Ministern mit einem Misstrauensvotum, wenn die ihren Leuten keine Posten zuschanzten. So waren alle Schaltstellen der Macht schnell unter den früheren Bürgerkriegsparteien verteilt. […] Der Umgang mit den Warlords erwies sich als Schlüsselfrage. Das ausländische Militär, auch die Bundeswehr, betrachtete sie als Alliierte, um die Stabilität zu sichern. […] Die ausländischen Militärs machten sie zu Verbündeten, damit sie nicht zu Gegnern wurden. Das nahm absurde Züge an: Es war ein offenes Geheimnis, dass der gleiche Mann, der von der Bundeswehr für die Sicherung des Feldlagers in Badachschan bezahlt wurde, ab und an Raketen darauf abfeuern ließ, um seinen Vertrag zu sichern. […] Unter seinem Nachfolger Aschraf Ghani verschärften sich die Machtkämpfe innerhalb der Regierung, weil die ausländischen Gelder, die es zu verteilen gab, zunehmend versiegten. Die politische Klasse kreiste nur noch um sich selbst.“ (Woran der Westen in Afghanistan gescheitert ist, FAZ, 29.08.2021)

„Daria, Mutter von fünf Kindern, […]: „Mein Mann findet keinen Job, er geht jeden Tag zum Markt, manchmal kann er Säcke mit Reis oder Mehl ausliefern, damit verdient er umgerechnet rund 48 Afghani am Tag. Aber es gibt viele Tage, an denen er gar kein Geld mit nach Hause bringt.“ 48 Afghani – das sind derzeit rund 50 Cent. […] Ein fliegender Händler, der auf einem Markt in Bamiyan Socken verkauft, fasst die aktuelle Situation so zusammen: „Es ist schlimmer als es jemals war. Es gibt keine Arbeit, also kann auch niemand etwas kaufen, alle haben ihre Jobs verloren.“ Dicke Socken – damit hatte er eigentlich jeden Winter Geschäfte machen können: In Bamiyan liegt monatelang Schnee. Aber nun bleibt nicht einmal mehr jemand vor seinem Socken-Karren stehen.“ (Im freien Fall in die Armut, tagesschau.de, 11.01.22)

„Es gibt an diesem Tag Mehl in Masar-i-Scharif, das Welternährungsprogramm verteilt es sackweise. Auch der 17-jährige Gymnasiast Mahmoud ist gekommen, mit seiner Mutter und seinem Bruder. Sie brauchen etwas zu essen. Er wisse nicht, wie es in anderen Ländern sei, sagt er, aber in Afghanistan arbeiteten die Menschen immer nur für ihr Essen – „sie denken an nichts anderes.“ Und ein Land, in dem die Menschen nichts mehr zu essen haben, sei ein Land ohne Perspektiven. Mahmoud spricht von seinen Träumen, die er verwirklichen möchte. Aber leider, stellt er fest, gehe das nicht. „Hier habe ich keine Chance.““ („Kinder zahlen einen unglaublichen Preis“, tagesschau.de, 9.12.21)

Kommen die jetzt alle zu uns? Nein, denn die Fluchtwege aus Afghanistan sind versperrt.“ Titel eines Artikels in: DIE ZEIT N°34, 19.08.21

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Lesetipp: „Der Afghanistan-Einsatz: Zwischen Scheitern und Versagen“ – Die teuerste Hinrichtung der Weltgeschichte und ihre Nebenwirkungen. In: GegenStandpunkt 4-21, erhältlich im Buchladen. Der Artikel ist kostenlos abrufbar auf: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ende-afghanistan-einsatzes