Der Krieg in der Ukraine und seine Gründe

Tue, 19. April 2022
von 19:15 Uhr bis 21:45 Uhr
Online-Veranstaltung per Discord; der Link zur Teilnahme: (nach Betätigung des Links auf "Sprachkanäle", "Allgemein" klicken)

Fortsetzung II: Die Gegenoffensive der USA

Mitten in unserem schönen Europa mit seiner wunderbaren Friedensordnung auf einmal wieder Krieg? Wie konnte es bloß dazu kommen? Ja, wie nur? Auf einmal, mitten im schönsten Frieden, ist da jedenfalls nicht ein Krieg ausgebrochen. Er ist auch nicht aus unerfindlichen Gründen von irgendeinem durchgeknallten russischen Autokraten vom Zaun gebrochen worden. Auch in dem Fall gilt: Die Gründe für den Krieg werden im Frieden geschaffen. Von Staaten, die es in ihrem Verkehr untereinander wieder einmal so weit gebracht haben, dass sie meinen, sich wechselseitig eine vernichtende Niederlage beibringen zu müssen. Im vorliegenden Fall sind die Gründe lange herangereift. Und dass es nun in der Ukraine losgeht, ist auch kein Zufall.

Zu entnehmen sind diese Gründe allemal den Stellungnahmen der maßgeblichen Parteien:

 

Russland:

1. „Es ist allgemein bekannt, dass uns versprochen wurde, dass sich die Infrastruktur des Nato-Blocks nicht einen Zentimeter nach Osten ausdehnen würde. Jeder weiß das. Heute sehen wir, wo die Nato steht: in Polen, in Rumänien und in den baltischen Staaten. Sie haben das eine gesagt, aber das andere getan. Sie haben uns einfach betrogen.“ (Putin, Pressekonferenz, Moskau, 1.2.2022)

2. „Früher hat die Nato mit Begriffen wie ‘vorübergehende Stationierung‘ gespielt. Jetzt spricht sie von einer vollständig nachhaltigen und turnusmäßigen Präsenz. Das bedeutet in Wirklichkeit eine ständige Präsenz … Liest man die Berichte der führenden westlichen politikwissenschaftlichen Zentren, so geben sie freimütig zu, dass sich die Nato durch die Verlegung ihrer Grenzen in die Vororte von St. Petersburg neue Schwachstellen geschaffen hat. Gleichzeitig kann die Strecke von Tallinn nach St. Petersburg mit dem Fahrrad zurückgelegt werden; Nato-Kampfflugzeuge können St. Petersburg in weniger als zehn Minuten erreichen.“ (Interview des stellvertretenden Außenministers Gruschko in der Rossijskaja Gaseta am 20.12.2021)

3. „Es ist äußerst besorgniserregend, dass Elemente des globalen US-Verteidigungssystems in der Nähe Russlands stationiert werden. Die Mk 41-Abschussrampen, die sich in Rumänien befinden und in Polen stationiert werden sollen, sind für den Abschuss der Tomahawk-Raketen ausgelegt. Wenn diese Infrastruktur weiter ausgebaut wird und die Raketensysteme der USA und der Nato in der Ukraine stationiert werden, beträgt ihre Flugzeit nach Moskau nur 7-10 Minuten, bei Hyperschallsystemen sogar nur fünf Minuten. Dies ist eine große Herausforderung für uns und unsere Sicherheit.“ (Putin in einer Sitzung des russischen Verteidigungsrates, 21.1.2022)

 

4. „Im Jahr 2009 legten wir unseren westlichen Kollegen den Entwurf eines Europäischen Sicherheitsvertrags zur Prüfung vor. Wir wurden missverstanden und ziemlich unhöflich behandelt. Man sagte uns, dass dieser Entwurf niemals auf den Tisch kommen würde. Wir verwiesen auf die Dokumente, darunter die Europäische Sicherheitscharta und andere Dokumente, in denen die Notwendigkeit der Einhaltung des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Sicherheit hervorgehoben wird. Wir haben deutlich gemacht, dass wir die politischen Verpflichtungen, die wir alle eingegangen sind, in eine rechtsverbindliche Form bringen wollen. Ihre Antwort hat alles gesagt: Rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien können nur den Bündnismitgliedern gewährt werden.“ (Lawrow, Pressekonferenz, Moskau, 14.2.2022)

 

5. „Die Informationen, die uns vorliegen, geben allen Grund zu der Annahme, dass der Beitritt der Ukraine zur NATO und die anschließende Stationierung von NATO-Einrichtungen hier eine ausgemachte Sache ist, es ist eine Frage der Zeit. Wir verstehen klar, dass in einem solchen Szenario das Ausmaß der militärischen Bedrohungen für Russland um ein Vielfaches dramatisch ansteigen wird. Und ich achte besonders darauf, dass die Gefahr eines plötzlichen Schlags gegen unser Land um ein Vielfaches zunehmen wird.“ (Putin in seiner Fernsehansprache vom 21.2.2022)

6. Wenn die Ukraine in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kommt, wird sich die Lage in der Welt und in Europa drastisch verändern, insbesondere für uns, für Russland. Wir können nicht anders, als auf diese reale Gefahr zu reagieren, zumal, ich wiederhole es, die westlichen Schirmherren der Ukraine ihr helfen könnten, diese Waffen zu erwerben, um eine weitere Bedrohung für unser Land zu schaffen. Wir sehen, wie hartnäckig das Kiewer Regime mit Waffen gefüttert wird… In den letzten Monaten sind ständig westliche Waffen in die Ukraine geliefert worden, ostentativ und vor den Augen der ganzen Welt. Ausländische Berater überwachen die Aktivitäten der ukrainischen Streitkräfte und Spezialdienste… In den letzten Jahren waren Militärkontingente der NATO-Länder unter dem Vorwand von Übungen fast ständig auf ukrainischem Gebiet präsent. Das ukrainische Truppenkontrollsystem ist bereits in die NATO integriert worden. Das bedeutet, dass das NATO-Hauptquartier den ukrainischen Streitkräften direkte Befehle erteilen kann, sogar an ihre einzelnen Einheiten und Truppenteile.“ (Ebd.)

7. „Im März 2021 wurde in der Ukraine eine neue Militärstrategie verabschiedet. Dieses Dokument ist fast ausschließlich der Konfrontation mit Russland gewidmet und hat zum Ziel, ausländische Staaten in einen Konflikt mit unserem Land zu verwickeln. Die Strategie sieht die Organisation einer so genannten terroristischen Untergrundbewegung auf der russischen Krim und im Donbass vor. Außerdem werden die Konturen eines möglichen Krieges skizziert, der nach Ansicht der Kiewer Strategen ‘mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft zu günstigen Bedingungen für die Ukraine‘ sowie – hören Sie bitte gut zu – ‘mit ausländischer militärischer Unterstützung in der geopolitischen Konfrontation mit der Russischen Föderation‘ enden soll.“ (Ebd.)

 

8. Wir haben darauf angemessen reagiert und betont, dass wir bereit sind, den Weg der Verhandlungen zu gehen, jedoch unter der Bedingung, dass alle Fragen als Ganzes, als Paket betrachtet werden, ohne von den wichtigsten, grundlegenden russischen Vorschlägen getrennt zu werden. Und sie enthalten drei Kernpunkte: Der erste besteht darin, eine weitere NATO-Erweiterung zu verhindern. Der zweite ist die Weigerung des Bündnisses zuzusichern, keine Angriffswaffensysteme an den russischen Grenzen zu stationieren. Und schließlich die Rückkehr des militärischen Potenzials und der Infrastruktur des Blocks in Europa auf den Stand von 1997, als die Russland-NATO-Gründungsakte unterzeichnet wurde.“ (Ebd.)

9. „Wir möchten eine klare Antwort auf die Frage erhalten, wie unsere Partner ihre Verpflichtung verstehen, ihre eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten zu stärken, und zwar auf der Grundlage des Bekenntnisses zum Grundsatz der unteilbaren Sicherheit. Wie gedenkt Ihre Regierung diese Verpflichtung unter den gegenwärtigen Umständen konkret zu erfüllen? Sollten Sie sich dieser Verpflichtung entziehen, bitten wir Sie, dies deutlich zu erklären.“ (Lawrow, Brief an die Außenminister Kanadas, der USA und etlicher europ. Staaten, 1.2.2022)

 

10. „Ich möchte klar und deutlich sagen: In der gegenwärtigen Situation, in der unsere Vorschläge für einen gleichberechtigten Dialog über grundlegende Fragen von den Vereinigten Staaten und der NATO tatsächlich unbeantwortet geblieben sind, in der das Bedrohungsniveau für unser Land erheblich zunimmt, hat Russland alle Recht, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten. Genau das werden wir tun.“ (Putin in seiner Fernsehansprache vom 21.2.2022)

 

USA/NATO:

11. „Zu den Forderungen [Moskaus] gehören ein Ende der NATO-Osterweiterung und der Zusammenarbeit mit ehemaligen Sowjetrepubliken, die nicht Mitglied des westlichen Militärbündnisses sind – insbesondere mit der Ukraine. Russland fordert außerdem Einschränkungen in Europa bei der Stationierung von Raketen und bei Militärübungen. Nach den Gesprächen mit dem stellvertretenden russischen Außenminister Sergej Rjabkow sagte Sherman, sie habe deutlich gemacht, dass die ersten beiden Forderungen – die Ukraine für immer aus der NATO herauszuhalten und die militärische Zusammenarbeit mit Kiew zu unterbinden – nicht infrage kämen. ‚Wir werden nicht zulassen, dass irgendjemand die Politik der offenen Tür der NATO, die schon immer ein zentrales Element des Bündnisses war, zunichtemacht. Wir werden nicht auf die bilaterale Zusammenarbeit mit souveränen Staaten verzichten, die mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten wollen.‘“ (Vizeaußenministerin der USA Sherman, Radio free europe/Radio Liberty, 11.1.22)

12. „Jedes Land hat das Recht, über seinen Weg selbst zu entscheiden.“ (NATO-Generalsekretär Stoltenberg, 25.1.22, tagesschau.de)

13. „Russland hat kein Veto-Recht“ (Stoltenberg, Interview in: DIE ZEIT Nr.8/22)

 

14. „Erstens plant Russland, einen Vorwand für seinen Angriff zu schaffen. Dabei könnte es sich um ein gewalttätiges Ereignis handeln, das Russland der Ukraine in die Schuhe schieben wird, oder um eine ungeheuerliche Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird. Wir wissen nicht genau, in welcher Form dies geschehen wird. Es könnte ein erfundener so genannter ‚terroristischer‘ Bombenanschlag innerhalb Russlands sein, die erfundene Entdeckung eines Massengrabs, ein inszenierter Drohnenangriff auf Zivilisten oder ein vorgetäuschter – oder sogar echter – Angriff mit chemischen Waffen. Danach werden russische Panzer und Soldaten auf wichtige Ziele vorrücken, die bereits in detaillierten Plänen festgelegt wurden. Wir glauben, dass zu diesen Zielen auch Russlands Hauptstadt Kiew gehört, eine Stadt mit 2,8 Millionen Einwohnern. (Blinken im UN-Sicherheitsrat, 17.2.2022)

15. „Wir haben uns umfassend und sorgfältig vorbereitet. Wir haben Monate damit verbracht, eine Koalition aus anderen freiheitsliebenden Nationen von Europa und Amerika bis Asien und Afrika aufzubauen, um Putin die Stirn zu bieten. Ich habe unzählige Stunden damit verbracht, unsere europäischen Verbündeten zu vereinen. Wir teilten der Welt im Voraus mit, was wir von Putins Plänen wussten und wie genau er versuchen würde, seine Aggression fälschlicherweise zu rechtfertigen. Wir haben Russlands Lügen mit der Wahrheit gekontert.“ (Biden, Rede zur Lage der Nation vom 1. März 2022)

 

16. „… ich habe bereits hochentwickelte Ausrüstung im Wert von über 600 Millionen Dollar an die Ukrainer geliefert, Verteidigungsausrüstung. Die Kosten eines Einmarsches in die Ukraine, was den Verlust von Menschenleben angeht, werden die Russen mit der Zeit überwinden können, aber sie werden schwerwiegend sein, sie werden real sein und sie werden Konsequenzen haben.“ (Biden, Pressekonferenz, 19.1.22)

17. „Gemeinsam mit unseren Verbündeten unterstützen wir die Ukrainer in ihrem Kampf um Freiheit. Militärische Hilfe. Wirtschaftliche Hilfe. Humanitäre Hilfe. Wir stellen der Ukraine mehr als 1 Milliarde Dollar an direkter Hilfe zur Verfügung. Und wir werden das ukrainische Volk auch weiterhin bei der Verteidigung seines Landes und bei der Linderung seines Leids unterstützen. … Putin hat Gewalt und Chaos entfesselt. Doch auch wenn er auf dem Schlachtfeld Gewinne erzielt – langfristig wird er einen hohen Preis zahlen. Und das stolze ukrainische Volk, das auf 30 Jahre Unabhängigkeit zurückblicken kann, hat wiederholt gezeigt, dass es niemanden dulden wird, der versucht, sein Land zurückzudrängen.“ (Biden, Rede zur Lage der Nation vom 1. März 2022)

 

18. „Die Präsenz der Nato im östlichen Teil der Allianz werde fortlaufend verstärkt, sagte Jens Stoltenberg in Rumänien. ‘Wir haben auch die Bereitschaft der Nato-Reaktionskräfte erhöht. Diese Truppen befinden sich in ihren Heimatbasen, können aber bei Bedarf schnell überall in der Allianz verlegt werden.’ Das Bündnis ziehe aber auch eine längerfristige Anwesenheit in der Schwarzmeerregion in Betracht.“ (Deutsche Welle, 12.2.22)

19. „Ich möchte klarstellen, dass unsere Streitkräfte nicht in einen Konflikt mit den russischen Streitkräften in der Ukraine verwickelt sind und dies auch nicht tun werden. Unsere Streitkräfte gehen nicht nach Europa, um in der Ukraine zu kämpfen, sondern um unsere NATO-Verbündeten zu verteidigen – für den Fall, dass Putin beschließt, weiter nach Westen vorzurücken. Zu diesem Zweck haben wir amerikanische Bodentruppen, Luftgeschwader und Schiffseinsätze mobilisiert, um NATO-Länder wie Polen, Rumänien, Lettland, Litauen und Estland zu schützen. Wie ich unmissverständlich klargestellt habe, werden die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten jeden Zentimeter des Territoriums der NATO-Länder mit der vollen Kraft unserer kollektiven Macht verteidigen.“ (Biden, Rede zur Lage der Nation vom 1. März 2022)

 

20. „Gemeinsam mit unseren Verbündeten verhängen wir gerade starke Wirtschaftssanktionen. Wir schneiden die größten Banken Russlands vom internationalen Finanzsystem ab. Wir hindern die russische Zentralbank daran, den russischen Rubel zu verteidigen, wodurch Putins 630 Milliarden Dollar schwerer „Kriegsfonds“ wertlos wird. Wir verwehren Russland den Zugang zu Technologien, die seine wirtschaftliche Stärke schwächen und sein Militär auf Jahre hinaus schwächen werden. Heute Abend sage ich den russischen Oligarchen und korrupten Führern, die diesem gewalttätigen Regime Milliarden von Dollar abgeknöpft haben: Schluss damit! Das US-Justizministerium stellt eine spezielle Task Force zusammen, um die Verbrechen der russischen Oligarchen zu verfolgen.“ (Ebd.)

 

21. „Und jetzt, da er gehandelt hat, zieht die freie Welt ihn zur Rechenschaft. Zusammen mit siebenundzwanzig Mitgliedern der Europäischen Union, darunter Frankreich, Deutschland und Italien, sowie Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Kanada, Japan, Korea, Australien, Neuseeland und vielen anderen, sogar der Schweiz. Wir fügen Russland Schmerzen zu und unterstützen die Menschen in der Ukraine. Putin ist jetzt mehr denn je von der Welt isoliert. … Wenn die Geschichte dieser Ära geschrieben wird, wird Putins Krieg gegen die Ukraine Russland schwächer und den Rest der Welt stärker gemacht haben. … Im Kampf zwischen Demokratie und Autokratie erheben sich die Demokratien, und die Welt entscheidet sich eindeutig für die Seite des Friedens und der Sicherheit. Dies ist ein echter Test.“ (Ebd.)

 

Lesetipp: „Russland ringt um seine Behauptung als strategische Macht – Amerika um deren Erledigung“ in: GegenStandpunkt 1-22, erhältlich im Buchhandel und beim Gegenstandpunktverlag, abrufbar auf: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-russland-nato