Der Klimaschutz als Rechtsfrage – Fortsetzung

Wed, 14. July 2021
von 19:15 Uhr bis 21:45 Uhr
Online-Diskussionsveranstaltung per Discord (nach Betätigung des Links im Register "Sprachkanäle" auf "Allgemein" klicken), der Link zur Teilnahme:

Das Bundesverfassungsgericht sorgt für Generationengerechtigkeit in Sachen Recht auf CO²-Emission

Ende April urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das Klimaschutzgesetz von 2019 zum Teil verfassungswidrig sei. Von den Klägern wurde das Urteil als „großer Erfolg“ (FFF-Aktivistin Neubauer) gefeiert und nicht nur die Oppositionsparteien (bis auf die AfD) begrüßten es, sondern auch die Regierungsparteien gaben sich begeistert: Die Umweltministerin Schulze bezeichnete es als „Rückenwind für den Klimaschutz“, Wirtschaftsminister Altmaier als „epochal für Klimaschutz und die Rechte der jungen Menschen“ sei. Diese Einigkeit in der Bewertung des Urteils von Seiten der Kläger wie der Beklagten mag stutzig machen, ist dann aber doch kein Wunder, wenn man sich klarmacht, was aus der Bedrohung Erderwärmung wird, wenn sie zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht wird.

Zum Thema gibt es einen Artikel des GegenStandpunkt-Verlages in der Nummer 2-21 der Politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt: „BVerfG klärt Rechtslage i.S. Erderwärmung: Der Klimawandel braucht mehr Generationengerechtigkeit“. Der Artikel ist frei verfügbar auf: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/bverfg-klaert-rechtslage-i-s-erderwaermung

Zitate zur Veranstaltung:

1. „Die Beschwerdeführer beantragen, 1. festzustellen, dass der Gesetzgeber mit der Implementierung einer Minderungsquote von 55 % in Bezug auf Treibhausgase für das Zieljahr 2030 gem. § 3 Abs. 1 KSG [Klimaschutzgesetz] sowie der Fixierung der jährlichen Minderungsziele für die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges in § 4 Abs. 1 i.V.m. den Anlagen 1 und 2 KSG die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 1 i.V.m. 20a GG [„Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen], Art. 2 Abs. 2 [„Schutz menschlichen Lebens“ und „der körperlichen Unversehrtheit“], Art. 12 [„Recht auf freie Berufswahl“], Art. 14 [„Schutz des Eigentums“] verletzt.“ (Verfassungsbeschwerde, S.2)

2. „Klimaschützende Regelungen, die nicht erwarten lassen, dass das kategorisch gebotene Ziel, ‚menschengerechte Lebensgrundlagen zu sichern‘, erreicht wird, verstoßen nach Auffassung der Beschwerdeführer gegen Art. 1 GG. Denn sie negieren die Subjektqualität der Beschwerdeführer, weil Menschen ohne gesicherte Lebensgrundlagen zu bloßen Objekten einer Entwicklung werden, die sie nicht mehr selbst beeinflussen können.“ (Verfasssungsbeschwerde, S. 95)

3. „Dass der Staat Anforderungen verletzt hat, die zur Vermeidung existenzbedrohender Zustände katastrophalen oder gar apokalyptischen Ausmaßes an ihn gerichtet sein könnten, kann aber nicht festgestellt werden. Deutschland ist dem Pariser Übereinkommen beigetreten und der Gesetzgeber ist nicht untätig geblieben. Er hat im Klimaschutzgesetz konkrete Maßgaben zur Reduktion von Treibhausgasen festgelegt … mit dem langfristigen Ziel, Treibhausgasneutralität bis 2050 zu erreichen … Auf dieser Grundlage erscheint es bei entsprechender Anstrengung möglich, dass – soweit Deutschland zur Lösung des Problems beitragen kann – jedenfalls der Eintritt katastrophaler Zustände verhindert wird.“ (Urteil des BverfG vom 24. März 21, Absatz 115)

4. „Die Beschwerdeführenden halten allerdings schon das Klimaschutzziel des Pariser Übereinkommens, das … dem Klimaschutzgesetz zugrunde gelegt ist, für unzureichend … Wenn der Gesetzgeber dem nationalen Klimaschutzrecht gleichwohl die Verständigung der Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens zugrunde gelegt hat, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C zu begrenzen, mag dies danach politisch als zu wenig ambitioniert beurteilt werden. Angesichts der erheblichen Unsicherheit, die der IPCC [Weltklimarat] selbst durch die Angabe von Spannbreiten und Ungewissheiten dokumentiert hat, bleibt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner grundrechtlichen Schutzpflicht derzeit jedoch ein erheblicher Entscheidungsspielraum … zumal er die Erfordernisse des Gesundheitsschutzes auch mit entgegenstehenden Belangen in Einklang zu bringen hat …

Anders als die Beschwerdeführenden meinen, kann aktuell nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber diesen Spielraum mit der Zugrundelegung des Paris-Ziels überschritten hat. Die Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten lässt sich nicht unmittelbar aus normativen Annahmen und Feststellungen zum Klimaschutz ableiten. Klimaschutz und der Schutz der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter menschlichen Lebens und körperlicher Unversehrtheit weisen zwar eine große Schnittmenge auf, sind aber nicht deckungsgleich … Es ist eben nicht von vornherein auszuschließen, dass eine Temperaturschwelle von 1,5 °C zwar zur Begrenzung des Klimawandels angeraten erscheint, zum Schutz menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit aber doch schon das vom deutschen Gesetzgeber übernommene Paris-Ziel ausreicht, den Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen.

Unterschiede zwischen Klimaschutz- und Gesundheitsschutzerfordernissen können sich auch deshalb ergeben, weil sich die Gefahren des Klimawandels für Leben und Gesundheit der Menschen zu einem Teil durch Anpassungsmaßnahmen lindern lassen.“ (Urteil, Absatz 158-164)

5. „Eine andere Frage ist, ob die damit für die Zeit nach 2030 angelegten, mit Freiheitsbeschränkungen verbundenen Anstrengungen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sind oder aber das Klimaschutzgesetz Reduktionslasten in unzulässiger Weise auf die Zukunft und die dann Verantwortlichen verschoben hat …“ (Urteil, Absatz 115) „Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“ (Urteil, Leitsätze)

6. Das Bundesverfassungsgericht hat uns eine klare Botschaft mit auf den Weg gegeben: Wer das Klima schützt, schützt unsere Freiheit. Klimaschutz ist nicht nur Umweltpolitik, Klimaschutz ist Sozialpolitik, Klimaschutz ist Industriepolitik und Klimaschutz ist Sicherheitspolitik.(Baerbock, Die Grünen, in der Bundetagsdebatte vom 7.5.21, auf: youtube.com)

7. Entscheidend ist, dass wir bei all den Maßnahmen mit dem richtigen Kompass zu Werke gehen. Klimaschutz braucht Kosteneffizienz. Wir müssen Klimaschutz so hinkriegen, dass wir die eine Frage der Generationgerechtigkeit, nämlich den Klimaschutz, nicht dadurch heilen, dass wir bei einer anderen Generationenaufgabe, nämlich bei den Staatsfinanzen, bei der ‚Verschuldung der öffentlichen Hand‘, eine tiefe Wunde aufreißen.“ (Stracke, CSU, in der Bundestagsdebatte vom 7.5.21)

8. „Das Bundesverfassungsgericht hat die Position der SPD bestätigt, dass man auch nach 2030 konkrete Maßnahmen festlegen muss. Das wollten wir, unsere Umweltministerin und wir als Fraktion, schon vorher, weil es um den Grundgedanken der Solidarität geht, um den Grundgedanken der Solidarität auch mit zukünftigen Generationen.“ (Mindrup, SPD, in der Bundestgsdebatte vom 24.6.21, auf youtube.com)

9. „Wir brauchen nach Auffassung der Karlsruher Richter mehr Verbindlichkeit bei den Reduktionszielen für Treibhausgase. Diese Haltung vertritt auch die FDP. Zugleich sollten wir aber stärker auf Ideenwettbewerb und einen Technologieschub setzen. Bisher hat sich die deutsche Klimapolitik planwirtschaftlich verzettelt und technologisch festgefahren.“ (Lindner, auf Twitter, 29.4.21)