Pro oder contra 4-Tage-Woche? Die Debatte um neue Arbeitszeitmodelle liefert lauter Einwände gegen Lohnarbeit

Tue, 20. February 2024
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Für die IG Metall ist die Sache klar: Sie hat für ihre Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich lauter unabweisbar gute Gründe auf ihrer Seite: „Die 4-Tage-Woche wird derzeit weltweit diskutiert, in vielen Staaten wird experimentiert: Beschäftigte arbeiten motivierter, produktiver und gesünder – und können Arbeit und Leben besser vereinbaren, Stichwort ‚Work-Life-Balance‘. Betriebe werden durch die 4-Tage-Woche attraktiver für Fachkräfte – und können damit in Krisen Arbeitsplätze sichern. Und schließlich ist die 4-Tage-Woche auch gut fürs Klima, spart Arbeitswege und Energie.“ Die IG Metall merkt gar nicht, welch trostloses Bild sie mit ihrer Argumentation für die 4-Tage-Woche über die Lage der Lohnabhängigen zeichnet, die sie vertritt.

Die Arbeitgeber lassen umgekehrt nicht auf sich sitzen, dass die Forderung der IG Metall alle ökonomische, soziale und ökologische Vernunft auf ihrer Seite hat, und kontern: „unbezahlbar“, „nicht machbar“, „ein Arbeitsplatzvernichtungsprogramm“, „ein Anschlag auf die grüne Transformation der Stahlindustrie“, … Sie bestehen mit ihren Einsprüchen darauf, dass ihr Interesse an möglichst viel Arbeit für möglichst wenig Geld alleiniges Kriterium aller Arbeitszeitmodelle zu sein hat.

So bieten die Tarifpartner Stoff für und reihen sich mit ihren Argumenten ein in eine Debatte, in der die Öffentlichkeit über Vor- und Nachteile, Machbarkeit und Unmöglichkeit der 4-Tage-Woche räsoniert, und in der Befürworter wie Gegner nichts als Einwände gegen den Kapitalismus und seine Lohnarbeit liefern.

Verlautbarungen zum Thema:

Es gebe sehr gute Erkenntnisse darüber, dass die Viertagewoche mit einer hohen Zufriedenheit, einer besseren Gesundheit und einer höheren Work-Life-Balance einhergehe, sagt Laura Venz im Gespräch mit tagesschau24. Sie ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Leuphana Universität in Lüneburg. Laut Venz ist insbesondere die Zufriedenheit ein wichtiger Punkt. Je weniger man arbeite, desto mehr Zeit habe man für andere Dinge – den Haushalt, die Kinderbetreuung oder Hobbys. ‚Wir wollen eigentlich nicht unser gesamtes Leben der Arbeit opfern, sondern es soll auch noch etwas darüber hinaus geben.‘“ (Gesünder und produktiver dank Viertagewoche?, tagesschau.de, 1.2.24)

Ergebnisse einer Studie „in Großbritannien: Dort testeten 2022 61 Unternehmen mit rund 2.900 Mitarbeitenden ein halbes Jahr lang die Viertagewoche – und waren offenbar überzeugt: 56 Firmen beschlossen anschließend, das Modell erst einmal beizubehalten. Die Mitarbeitenden waren der Studie zufolge ausgeglichener und gesünder, die Produktivität hat sich sich sogar erhöht.“ (Ebd.)

Wäre es also richtig, die Wochenarbeitszeit generell zu kürzen, wie es die IG Metall jetzt für die Stahlarbeiter will? Da tun sich grundsätzliche Fragen auf. Eine Arbeitszeitverkürzung um drei Stunden entspricht bei einer 35-Stunden-Woche einer Lohnerhöhung von etwas mehr als 8,5 Prozent. Das liegt zwar ungefähr in der Bandbreite der Abschlüsse, die in diesem Jahr gemacht werden, allerdings in der Regel für zwei Jahre. Würde also eine reine Arbeitszeitrunde verhandelt, wäre die 32-Stunden-Woche nur bei einem längeren Lohnverzicht bezahlbar.“ (Ursula Weidenfeldt: Das Märchen von der Viertagewoche. In: Der Spiegel, 12.4.23)

Für die Viertagewoche gibt es vor allem zwei Modelle, die zur Debatte stehen. In dem ersten Modell wird die wöchentliche Arbeitszeit bei gleichem Lohn reduziert, von 40 auf 32 Stunden – oder wie es die IG-Metall für die Stahlbranche fordert – von 35 auf 32 Stunden in der Woche. Das Modell verfolgt in der Regel den sogenannten ‚100-80- 100‘-Ansatz. Für 80 Prozent Arbeit wird 100 Prozent des Gehalts gezahlt – bei hundertprozentiger Produktivität. In einem zweiten Modell würden dagegen lediglich die Stunden von fünf Tagen auf vier Arbeitstage umverteilt. Wer also zuvor in einer 40-Stunden-Woche täglich acht Stunden arbeitete, müsste in einer Viertagewoche nun zehn Stunden arbeiten. Unter beiden Modellen soll – im Idealfall – aber die Gesamtproduktivität nicht leiden. Ziel ist also immer, in vier Tagen genauso viel zu schaffen wie in fünf.“ (Antonia Mannweiler: Was bringt die Viertagewoche? Auf: tagesschau.de, 6.4.23)

Der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gibt zu Bedenken: „Wer bei zuvor 40 Stunden in der Woche weniger arbeite, aber das gleiche Gehalt erhalte, müsse jede Stunde 25 Prozent mehr leisten, um die Arbeitszeit auszugleichen. In den allermeisten Jobs sei dies aber undenkbar“. (Ebd.)

Weniger Arbeit für gleichen Lohn? Das erfordert riesige Produktivitätsschübe. Die aber sind in weiten Teilen der Wirtschaft überhaupt nicht erreichbar.“ (Bert Rürup: Eine Vier-Tage-Woche ist populär, aber unrealistisch. In: Handelsblatt, 19.5.23)

In den Studien zur Viertagewoche wird vorgeschlagen, unproduktive Zeiten aus der Wochenarbeitszeit herauszupressen und diese in Freizeit umzuwandeln. Also weniger Meetings, kürzere Konferenzen, keine Störungen konzentrierter Arbeitsphasen mehr. So bezahle sich die Sache quasi von selbst. Doch wie viele Meetings und Konferenzen hat der Stahlarbeiter?“ (Weidenfeldt, a.a.O.)

Einer Branche, die gerade mit Milliardenzuschüssen zukunftsfähig gemacht werden soll, würde man lieber einen anderen Vorschlag machen. Wie wäre es, mehr Stahl zu kochen, bessere Betriebsergebnisse zu erzielen und damit weniger Subventionen zu beanspruchen? Das Ziel sollte doch sein, die unproduktiven Phasen in produktive umzuwandeln. Oder will man behaupten, es gebe ein implizites Recht auf Zeitvergeudung am Arbeitsplatz, das auch in einen Freizeitanspruch umgewandelt werden könne?“ (Ebd.)

Mitte der 1980er-Jahre setzte die IG Metall dann den Einstieg in die 35-Stunden-Woche durch, die aber flächendeckend erst 1995 in dieser Branche umgesetzt wurde. Die Folgen waren beachtlich. Der mit dem Tarifabschluss verbundene Arbeitskostenschub löste eine gewaltige Rationalisierungswelle aus – Maschinen ersetzten wo immer möglich Menschen, Arbeitsplätze wurden in Niedriglohnländer verlagert, was durch den Fall des Eisernen Vorhangs viel einfacher geworden war.“ (Rürup, a.a.O.)

„‚Ich verstehe komplett, dass da erst mal alle Alarmglocken angehen’, sagt Venz, erinnert aber gleichzeitig an den Fachkräftemangel: ‚Wir haben einen Markt, in dem das Angebot an Arbeitsplätzen sehr groß ist, beispielsweise im Bereich der Pflege.‘ Da könne eine Viertagewoche – bei allen Herausforderungen, die damit einhergingen – ein großer Hebel sein, um Arbeitgeber attraktiver zu machen. Arbeitspsychologin Venz weist darauf hin, dass sich die Zeiten verändert haben: Die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt erlaube es den Bewerberinnen und Bewerbern, Ansprüche zu stellen und sich den Arbeitgeber gezielt auszusuchen. ‚Und ja, warum sollte ich mich dann nicht für den entscheiden, der mir eine Viertagewoche anbietet?‘“ (Gesünder und produktiver dank Viertagewoche?, tagesschau.de, 1.2.24)

Es ist für mich schlicht nicht verständlich, wie man auf die Idee kommt, den Fachkräftemangel – den es ja zweifelsohne gibt – mit einer Verknappung und Verteuerung der Arbeit lösen zu wollen. Das passt nicht zusammen.“ (Gerhard Erdmann in der Wirtschaftswoche, 7.9.23)

Der Arbeitgeberverband Stahl selbst zeigte sich von den Vorschlägen der IG-Metall unbeeindruckt. Seit Jahrzehnten gelte in der Metallindustrie die 35-Stunden-Woche. Diese weiter zu verkürzen, komme aus Arbeitgebersicht nicht in Frage. ‚Die Forderung kommt völlig zur Unzeit‘, sagte Gerhard Erdmann vom geschäftsführenden Vorstand des Arbeitgeberverbands Stahl. Die Arbeitgeber hätten bereits jetzt mit hohen Energiekostensteigerungen und den Kosten für die Transformation der Branche zu kämpfen. Auf Arbeitgeberseite gibt es wenig Verständnis für eine verkürzte Arbeitszeit. Im Gegensatz zur Forderung, die Arbeitszeit zu reduzieren, plädierte Sigfried Russwurm, Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, vergangenes Jahr sogar noch die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden zu erhöhen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.“ (Mannweiler, a.a.O.)

Gesamtmetallchef Wolf beklagt „eine zunehmende Abkehr vom Leistungsprinzip in Deutschland. Schon mit dem Begriff ‚Work-Life-Balance‘ habe er ein Problem, sagte der Gesamtmetall-Chef. ,Er sagt aus, Work ist schlecht, Life ist gut. Dabei sind Leben und Arbeit doch keine Gegensätze.‘ Das Thema Leistung und Arbeit müsse wieder positiv dargestellt werden, nicht nur von Arbeitgebern und Verbänden, vor allem in den Familien und an den Schulen.“ (BILD am Sonntag, 8.10.23)

 

Lesetipp: „Wann kommt die Viertagewoche? Eine trostlose Debatte um eine trostlose Forderung“ in: GegenStandpunkt 4-23