Gesundheit im Kapitalismus: Lauterbachs Revolution im Krankenhaus

Thu, 19. December 2024
von 19:30 Uhr bis 22:00 Uhr
Nachbarschaftshaus Gostenhof, Adam-Klein-Straße 6, 90429 Nürnberg

Jetzt ist sie doch noch beschlossen – Lauterbachs „revolutionäre“ Krankenhausreform. Wie immer, wenn Politiker eine Revolution im sozialen Bereich beschwören, bezieht sich auch Lauterbach mit seinem Willen, alles besser zu machen, auf Eckpunkte und Resultate der jeweils vorangegangenen „Revolution“, die seine Amtsvorgänger zur „Rettung“ des Krankenhauswesens für nötig gehalten haben. Und es war ja der heutige Minister selbst, der 2003 gemeinsam mit der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Schmidt das System der Fallpauschalen als „Heilmittel“ eingeführt hat, das er inzwischen als das große Übel und als die Ursache der beklagten Missstände bei der Versorgung der Patienten durch die Krankenhäuser anprangert. Mit den Fallpauschalen sollte damals dafür gesorgt werden, dass der Patient durch langes Verweilen im Krankenbett nicht kränker rauskommt, als er reingekommen ist, weil die Krankenhäuser nun einen finanziellen Anreiz hatten, die Verweildauer nicht „unnötig“ auszudehnen. So sollten sie mithelfen, die Krankenkassenbeiträge im Rahmen zu halten. Heute hält Lauterbach als Ergebnis seiner damaligen Reform fest: Mit unangebrachten Operationen die Bilanz aufzubessern, ist in hiesigen Krankenhäusern flächendeckende Normalität. Er entdeckt Pfusch, wohin er schaut, und macht dafür eine verderbliche „Ökonomisierung“ als Grund aus. Dagegen hat der Minister aber ein Rezept: durch eine Kombination von Vorhalte- und Fallpauschalen die Geschäftsrechnungen der Krankenhäuser so zu lenken, dass gar nichts anderes herauskommen kann als ein harmonisches Verhältnis von volksfreundlicher Krankenversorgung, ihrer Bezahlbarkeit und der Notwendigkeit der Krankenhäuser, Geld zu verdienen …

Welche neuen ewigen Widersprüche des kapitalistischen Gesundheitswesens er mit seiner Reform auf den Weg bringt, darüber wollen wir diskutieren.

Lauterbachs Begründung der Notwendigkeit seiner Reform des Krankenhauswesens:

Die Fallpauschale ist wie ein Preisschild, mit dem der Patient in die Klinik kommt. Hat er einen komplizierten Meniskusschaden mit einem Kreuzbandriss, kommen zum Beispiel 4 000 Euro zur Tür herein. Ein Klinikarzt, der von seiner Geschäftsführung unter ökonomischem Druck steht, wird zusehen, dass er diesen Patienten nicht verliert. Er wird dem Patienten daher erklären, dass die Klinik den Eingriff gut beherrscht – auch wenn das möglicherweise nicht ganz stimmt… Zum Beispiel werden in Deutschland so viele Herzklappen über einen Katheter eingesetzt wie sonst nirgends auf der Welt. Viele dieser Eingriffe sind medizinisch nicht zwingend notwendig, aber sehr lukrativ. Da werden Kardiologen unter Druck gesetzt von Klinikleitungen, die sagen: Kannst du das nicht auch machen? Die erste Generation solcher Patienten hat für den wirtschaftlichen Druck einen hohen Preis bezahlt… Die Wahrheit ist auch, dass beispielsweise ältere Menschen, obwohl ihr Tod absehbar ist, zu oft noch auf die Intensivstationen gebracht werden, weil das abgerechnet werden kann. Das ist inhuman.“ (Die Zeit, 15.6.23)

Das [die Einführung der Fallpauschalen] bedeutet für den Patienten, dass die Qualität oft nicht so gut ist, wie sie sein könnte. Es gibt immer den gleichen Preis, egal ob der Eingriff sehr aufwendig, mit hoher Qualität gemacht wird oder nicht so hoher Qualität. Die Krankenhäuser müssen in die Menge gehen. Das heißt, ein Krankenhaus kann nur wirklich viel verdienen, wenn es viele Fälle macht. Somit haben wir einen systematischen Anreiz … dass viel gemacht wird, oft zu viel und dass an der Qualität gespart wird, und insbesondere, dass Bereiche hinten runterfallen, wo man keine Ge­­winne machen kann, zum Beispiel die Kinderheilkunde, zum Beispiel die Pflege, aber auch oft die Spitzenmedizin. Das System funktioniert nicht gut.“ (DLF, 6.12.22)

Deutschland hat die Fallpauschalen vor zwanzig Jahren eingeführt, um zu verhindern, dass die Patienten zu lange im Krankenhaus liegen. Das nämlich ist nicht nur teuer, sondern macht Patienten teilweise sogar kränker – besonders Ältere. Lange Liegezeiten machen immobil, steigern das Risiko, sich einen Keim einzufangen, be­­günstigen sogar bei älteren Risikopatienten den Beginn einer Demenz. Deshalb war ich damals auch für die Fallpauschalen. Aber wir haben es übertrieben… Wir haben das System ohne Ausnahme umgesetzt. Kein anderes Land ist so weit gegangen, dass es den Kliniken sonst keine Einkommensmöglichkeit gibt. Ich hätte mir das anders gewünscht, denn auf diese Weise war die einfachste Möglichkeit, Gewinne zu machen, am Personal zu sparen.“ (Die Zeit, 14.12.22)

Künftig sollen Kliniken mehr Geld dafür bekommen, dass sie das nötige Personal, den Operationssaal und die Technik für den Eingriff bereithalten, nicht nur für den Eingriff selbst. … Die ZEIT: ‚Wäre ein Patient ganz ohne Preisschild nicht humaner?‘ Lauterbach: ‚Nein, denn dann bekäme eine Klinik den vollen Betrag auch dann gezahlt, wenn sie gar nicht mehr operiert. Dann könnten selbst sinnvolle Operationen ausbleiben, weil das für die Klinik günstiger ist.‘“ (Die Zeit, 15.6.23)

 

Lesetipp: Lauterbachs Revolution im Krankenhaus. In: GegenStandpunkt 1-24.