Das Elend des gewerkschaftlichen „Kampfs um Arbeitsplätze“

Wed, 02. April 2025
von 19:30 Uhr bis 22:00 Uhr
Villa Leon, Großer Saal, Philipp-Koerber-Weg 1, 90439 Nürnberg

Deutsche Gewerkschaften kämpfen in regel­mäßigen Tarifrunden für bessere Nominallöhne. Dass ihre Mit­glieder das wegen ihrer regelmäßig verschlechterten Reallöhne offenbar nötig haben, gilt in dieser Re­publik als selbstverständlich. Gestört wird sich eher an den Lohnkämpfen, die deswegen stattfinden und die manchem als altmodisch und aus der Zeit gefallen gel­ten.

Deutsche Gewerkschaften sind aber nicht altmodisch. Die größte von ihnen, die IG Metall, führt es vor: Ganz modern kämpft sie um etwas anderes als um höhere Löhne, nämlich um Arbeitsplätze, so als ob die für sich schon etwas Nützliches für Arbeiter wären. Ob man um so etwas überhaupt kämpfen kann, und was man dann davon hat, braucht diese Gewerk­schaft sich dabei nicht zu fragen – sie hat beides schon längst beantwortet: Im Namen der Arbeitsplätze ihrer Mitglieder be­gleitet sie seit Jahrzehnten die Verbilligung der von ihr vertre­tenen Belegschaften während aller Flauten und aller Konjunk­turen des deutschen Standortes.

Zuletzt und prominent bei VW, wo die IG Metall per Lohnver­zicht dabei mitwirken darf, bis 2030 bundesweit 35.000 Stellen sozialver­träglich abzuwracken und die weiterhin Beschäftigten um ein paar Mil­liarden Euro zu verbilligen.

Deutsche Gewerkschaften verraten damit nicht ihren eigentlichen Zweck, sondern bringen ihn von seinem elenden Ausgangspunkt her an ein gerechtes Ende. Darum soll es auf der Veranstaltung gehen.

Wie die Volkswagen AG ihr erzieltes Ergebnis sieht und bespricht:

1. „Die Volkswagen AG hat sich nach intensiven Verhandlungen mit der IG Metall und dem Betriebsrat auf eine gemeinsame Vereinbarung „Zukunft Volkswagen“ geeinigt. Damit stellen Unternehmen und Betriebsrat zusammen die Volkswagen AG nachhaltig erfolgreich auf. Dafür richtet das Unternehmen die Produktionskapazitäten an den deutschen Standorten der Volkswagen AG neu aus. Es schafft auf tariflicher Ebene mit einem Tarifabschluss zum Haustarifvertrag bis 2030 die Voraussetzungen für eine finanzielle Arbeitskostenentlastung von 1,5 Milliarden € pro Jahr. … Außerdem vorgesehen ist eine technische Kapazitätsreduzierung von 734.000 Einheiten in den deutschen Werken. … Durch die strukturelle Neuausrichtung des Unternehmens auf betrieblicher tariflicher Eben werden die Voraussetzungen geschaffen, das angestrebte Renditeziel für die Marke Volkswagen PKW mittelfristig zu erreichen…“ „Einigung auf sozialverträglichen Abbau der Belgschaft um mehr als 35.000 an den deutschen Standorten bis 2030“ (Volkswagen Group Medieninformation Nr. 137/2024)

 

Wie die IG Metall ihr erzieltes Ergebnis sieht und bespricht:

2. „Nach 70 Stunden Verhandlung steht das Ergebnis. Die roten Linien der IG Metall werden eingehalten: Keine Werksschließungen, keine Massenentlassungen und keine langfristigen Einschnitte in den Tarifvertrag. … ein guter Kompromiss.“ (Verhandlungsergebnis bei VW und Tochterunternehmen, auf: igmetall.de, 2.12.2024/ aktualisiert am 17.02.2025)

3. „‘Versäumnisse aus der Vergangenheit, die dringende Notwendigkeit, in den technologischen Wandel zu investieren, sowie unsichere politische Rahmenbedingungen und eine verunsichernde politische Debatte haben Volkswagen, dessen Zukunft vor allem den eigenen Beschäftigten am Herzen liegt, in eine der herausforderndsten Situationen seiner Unternehmensgeschichte gebracht. Frühzeitig hat die Arbeitnehmerseite deutlich gemacht: Alle Werke brauchen Perspektive, und die Transformation gestaltet man nur mit der Belegschaft, niemals gegen sie’, führt Metaller Gröger weiter aus.“ (Ebd.)

4. „‘In einem für Volkswagen beispiellosen Tarifkampf unter historisch widrigen wirtschaftlichen Bedingungen ist es uns gelungen, für die Beschäftigten an den Volkswagen-Standorten eine Lösung zu finden … ‘, erklärt Thorsten Gröger, IG Metall Verhandlungsführer.“ (Ebd.)

 

5. „Mit der Tarifverständigung konnten das Schließen ganzer Standorte, betriebsbedingte Kündigungen sowie ein Eingriff in die monatlichen Entgelte abgewendet werden – VW forderte unter anderem ein sofortiges pauschales Gehaltsminus von 10 Prozent.“ (Ebd.)

6. „Außerdem wird die Jubiläumsgratifikation für 25 und 35 Jahre Betriebszugehörigkeit angepasst – Volkswagen wollte diese bis zuletzt komplett abschaffen. Bisher galt: Für 25 Jahre Werkszugehörigkeit gab es das 1,45 Fache des Monatsentgelts, bei 35 Jahren das 2,90 Fache eines Monatsentgelds. Zukünftig wird es für 25 Jahre Betriebszugehörigkeit eine pauschale Zahlung von 6000€ und für 35 Jahre von 12000€ geben, die tarifdynamisch sind.“ (Ebd.)

7. „‘Wir haben in großer Verantwortung nun ein Paket geschnürt, das schmerzliche Beiträge der Beschäftigten beinhaltet, aber im gleichen Atemzug Perspektiven für die Belegschaften schafft. Dabei bringen die Arbeitnehmer temporär tarifliche Bestandteile, wie zum Beispiel Teile der Ergebnisbeteiligung, ein … Im Gegenzug erhalten tausende Familien einen sicheren Zukunftsrahmen und die Kommunen Planbarkeit’, sagt Thorsten Gröger weiter.“ (Weihnachtswunder von Hannover sichert Volkswagen-Standorte ab, auf: igmetall-wob.de; 20.12.2024)

8. „Eine Entkopplung vom Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie konnte im Kern abgewendet werden. Dort wurde im November 2024 ein Tarifergebnis erzielt, welches eine tabellenwirksame Erhöhung von gut 5 Prozent für die Beschäftigten vorsieht. Diese Erhöhung wird bei Volkswagen zunächst ausgesetzt. Das zusätzliche Plus dient bis 2030 als Teilfinanzierung von Instrumenten zum Umgang mit Personalüberhängen ohne betriebsbedingte Kündigungen, aus dem zum Beispiel flexibel Arbeitszeitabsenkungen mit teilweisem Entgeltausgleich erfolgen und erweiterte Altersteilzeitangebote finanziert werden können.“ (Verhandlungsergebnis …)

 

9. „Ohne Produkte und Wertschöpfung bringt die beste Beschäftigungssicherung auf Dauer nichts. Dahingehend haben sich IG Metall, Gesamtbetriebsrat und die Volkswagen AG im Zusammenhang mit den Tarifverhandlungen auf einen Fahrplan für die Werksbelegung verständigt.“ (Ebd.)

10. „Die IG Metall hat frühzeitig die Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen erkannt, stets aber dafür plädiert, dass diese nicht einseitig auf dem Rücken der Beschäftigten getroffen werden dürfen. Dass eine Antwort auf Überkapazitäten und die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen gefunden werden muss, ist Konsens.“ (Weihnachtswunder …)

 

11. „Christiane Brenner, Erste Vorsitzende der IG Metall nimmt die Politik in die Pflicht: ‚Wir haben als Sozialpartner mit dieser wichtigen Einigung bei VW Verantwortung übernommen. Unsere roten Linien haben wir gehalten. Jetzt muss das Management Zukunft liefern. Aber auch die Politik muss jetzt ihren Job machen und umgehend für Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen für die Industrie und den Hochlauf der Elektromobilität sorgen, um so eine langfristige Perspektive für die Beschäftigten zu schaffen!‘“ (Ebd.)

 

 

Lesetipp: Das Proletariat: politisch emanzipiert, sozial diszipliniert, global ausgenutzt, nationalistisch verdorben. Die große Karriere der lohnarbeitenden Klasse kommt an ihr gerechtes Ende. (Hrsg. von P. Decker und K. Hecker) München 2002. Erhältlich im Buchhandel und direkt beim Gegenstandpunktverlag.