Diskussionsveranstaltung
Di, 07. März 2023
von 19:15 Uhr bis 21:45 Uhr
Online-Veranstaltung per Discord. Der Link zur Teilnahme (nach Betätigung des Links unter "Voice Channels" auf "General" drücken):

Fortsetzung: Zur Machart freiheitlich-demokratischer Kriegspropaganda

Der Umgang der professionellen Öffentlichkeit mit abweichenden Standpunkten

Die deutsche Öffentlichkeit steht eindeutig zum russisch-ukrainischen Krieg. Sie teilt ihrem Publikum tagtäglich mit, was in der Ukraine vor sich geht und „uns“ aufregen muss. Dabei ist eins klar: Um Krieg geht es bei allen Bildern und Berichten aus dem Krieg nicht. Ein Urteil über die Krieg führenden Subjekte – über den Staat in seiner Eigenschaft als Gewaltmonopolist, der über Leichen geht, als Befehlshaber, der seine Bevölkerung zum Töten und Sterben kommandiert, als Souverän, der in aller Freiheit und mit seinem höchsten Recht Menschen als sein Kampfmittel gegen seinesgleichen benutzt und verschleißt – fällt konsequent nicht; also auch nicht über die brutale Räson einer – wenn’s ernst wird einer jeden – politischen Herrschaft, die im Krieg am Werk ist: über das ganz staatseigene wirkliche Verhältnis zwischen der Selbsterhaltung dieser Macht und dem Überleben ihres uniformierten wie nicht-uniformierten Bürgermaterials. Das alles ist pauschal abgeräumt mit dem Stichwort, ohne das man sich diesen Krieg überhaupt nicht denken darf: Angriffskrieg.

Dass da – wie in noch jedem Krieg – eine Seite losgeschlagen hat, die andere mit allem verfügbaren Personal und allen verfügbar gemachten Waffen dagegenhält, sodass die Berichterstatter ganz viel Sensationelles zu berichten haben, ist allein schon mit dieser Kennzeichnung moralisch eingenordet: eingeordnet auf der einen Seite in das Verdikt über einen Angreifer, über den man außer dem Willen zum Angriff nichts wissen muss, schon gar nicht irgendetwas Kritisches über die existenziellen Bedürfnisse souveräner Herrschaftsmacht, der da eine Regierung eigene Soldaten wie fremde Untertanen opfert; über die andere Seite ist spiegelbildlich ebenso abstrakt alles gesagt mit der Kategorie des überfallenen Opfers, die eine Staatsgewalt, die ihren exklusiven souveränen Zugriff auf Land und Leute verteidigt, indem sie beides opfert, unmittelbar in eins setzt mit den Menschen, die an dieser Benutzung durch ihre nationale Herrschaft zugrunde gehen. Richtig informiert ist der Adressat von ARD bis Zeit, wenn er eine regelmäßig abrufbare Empörung pflegt, mit der er sich jedes Mal aufs Neue demonstrativ ans Hirn greift und nicht fassen „kann“, warum Russland so viel Leid anrichtet und Leichen produziert. Die Berichte über die täglich Getöteten, die seit Kriegsbeginn getöteten Kinder, wann wo eine Rakete einschlägt und wie es den Leuten geht, die zwar überleben, aber ihr Zuhause und Familienangehörige verlieren, illustrieren nicht die Brutalität des Rechts, mit dem Höchste Gewalten ihre Staatsbürger im Ernstfall total funktionalisieren, auch nicht des hoheitlichen Selbstbehauptungswillens, der sie auffrisst: Sie bebildern vielmehr das strafwürdige Unrecht der einen, die Unschuld der anderen Kriegspartei. Alle Informationen übermitteln diese Botschaft, die mit der überhaupt nicht militärischen, überhaupt nicht strategischen, sondern rein moralischen und als solche unverrückbaren Unterscheidung zwischen Angriff und Verteidigung feststeht.

So ganz von allein geben Horrorbilder und Frontberichte diese Botschaft freilich doch nicht her. Da bedarf es schon der Sprachregelung, die das Geschehen stereotyp Angriffskrieg nennt – so wie die Gegenseite auf der Bezeichnung „militärische Spezialoperation“ besteht –, damit die berichteten Fakten unmittelbar schon für ihre Deutung sprechen. Und es gibt im Repertoire der freiheitlichen Öffentlichkeit ein paar Zusätze methodischer Art zu dieser Gleichung: nichts, was in die verfängliche Richtung einer Erklärung der staatlichen Interessen gehen würde, sondern Zusätze, die ganz formell die Stichhaltigkeit der unterstellten Identität von Parteilichkeit und Faktenlage beglaubigen.

Lesetipp: Bemerkungen zur Machart freiheitlich-demokratischer Kriegspropaganda. In: GegenStandpunkt 3-22, erhältlich im Buchhandel, abrufbar auf: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/machart-demokratischer-kriegspropaganda